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Lektion 3: Sprechakte

 

Definition:

Sprechakte sind sprachliche Äusserungen, die neben der Vermittlung von Informationen auch eine bestimmte Wirkung erzielen können und dadurch selbst eine Handlung ausführen.

Schlüsselkonzepte

  • Positives Gesicht

  • Negatives Gesicht

  • Konversationale Implikatur

TEIL 1: DIREKTE UND INDIREKTE SPRECHAKTE

 

Wenn wir uns sprachlich ausdrücken, geschieht dies oft, um Informationen zu übermitteln oder Aussagen zu machen. Wir tun dies, indem wir konventionelle Fakten beschreiben, wie zum Beispiel: Wasser gefriert, wenn eine Temperatur von maximal 0°C erreicht wird. Aussagen dieser Art lassen sich daran erkennen, dass sie als wahr oder falsch eingestuft werden können. Wir können also die letztere Äusserung entweder als wahr „ja, das stimmt“ oder als falsch „nein, das stimmt nicht“ beurteilen. Trotzdem können wir mit Sprache weit mehr tun als nur beschreiben oder behaupten: Wir können mit Sprache handeln. Wenn eine sprachliche Äusserung zu einer Handlung wird, nennen wir sie einen Sprechakt. Solche Äusserungen können durch performative Wörter oder bestimmte Ausdrucksformen ausgelöst werden. Performative Wörter beschreiben einen Abschnitt, der in mehrere Wortgruppen eingebettet ist – in den meisten Fällen innerhalb von Verben. Diese sogenannten Performativa verkörpern eine Handlung innerhalb ihrer Ausdrucksweise. Beispiele sind: versprechen, schwören, wetten, warnen usw. Durch ihre Verwendung, mit der Aussage „Ich verspreche, dass ich vor Mitternacht zu Hause sein werde!“, verpflichtet man sich automatisch zu einer Handlung, d.h. mit der Ankündigung des Versprechens ist die Handlung bereits vollzogen. Performative Aussagen lassen sich auch daran erkennen, dass sie weder als wahr noch als falsch beschrieben werden können. Wenn also jemand zu Euch sagt „Ich verspreche, dass ich vor Mitternacht zu Hause sein werde!“, könnt Ihr nicht antworten „Das stimmt nicht, du versprichst mir das nicht“, weil die Person Euch mit ihrer Aussage bereits das Versprechen gegeben hat, unabhängig davon, ob sie dieses Versprechen in der Zukunft halten oder brechen wird.

Neben Verben können auch andere Wortgruppen Performativa enthalten: „Hiermit verurteile ich Sie zu drei Jahren Gefängnis.“ Das Wort „hiermit“ übernimmt eine formale und performative Rolle und wird verwendet, um ein Urteil als gültig zu erklären. Die notwendige Bedingung ist, dass die sprechende Person die offizielle Autorität und Erlaubnis hat, die Handlung der Verurteilung einer Person zu einer Strafe auszuführen. Diese Art von Sprechakt ist nur erfolgreich, wenn das oben genannte Kriterium erfüllt ist. Wenn beispielsweise ein Industriearbeiter dieses Urteil gegenüber seinem Vorgesetzten äußern würde, wäre der Sprechakt aufgrund fehlender gültiger Autorität des Sprechers als erfolglos anzusehen. Wenn hingegen ein Richter diese Aussage am Ende eines Gerichtsverfahrens äussert, würde das Urteil als gültig angesehen.

Sprechakte können auch auftreten, wenn bestimmte Ausdrucksformen verwendet werden. Dies bezieht sich auf Ausdrücke wie Befehle, Wünsche, Fragen oder Drohungen usw. Das folgende Beispiel zeigt zwei Äusserungen, die aufgrund ihrer Ausdrucksform als Sprechakte eingestuft werden können.
(1) Enno, verlass den Raum!
(2) Wenn Enno den Raum verlässt, gehe ich auch.

Beide Beispiele handeln von einer Person namens Enno, und es wird in beiden Fällen berichtet, dass Enno den Raum möglicherweise verlässt. Trotz gemeinsamer Anhaltspunkte haben die beiden Aussagen unterschiedliche Wirkungen und implizieren unterschiedliche Handlungen. Während der erste Satz einen klaren Befehl darstellt, verkörpert die zweite Äusserung eine Drohung. Es ist wahrscheinlich, dass das Ergebnis beider ist, dass Enno den Raum verlässt. In Aussage (2) wird jedoch eine andere Person, nämlich diejenige, die die Drohung äussert, zusammen mit Enno den Raum verlassen. Somit verursacht die Ausdrucksform unterschiedliche Handlungen und Reaktionen.

Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen direkten und indirekten Sprechakten. Erstere drücken genau das aus, was sie bedeuten, d.h. sie spiegeln wider, was erreicht werden soll. Letztere hingegen tragen neben der sprachlichen Äußerung eine indirekte Aussage in sich. Betrachten wir dieses Thema anhand eines Beispiels, bei dem (a) und (b) zwei mögliche Sprechakte darstellen, die jeweils unabhängig in der beschriebenen Situation auftreten könnten:

Die Klasse 4B sitzt in einem Klassenzimmer. Draussen schneit es und Mika öffnet das Fenster, um etwas frische Luft hereinzulassen. Daraufhin ruft Toni:
(a) Schließ das Fenster, es ist kalt!
(b) Brrrr! Es ist so kalt!

Mit der Aussage (a) wird direkt und unmissverständlich ausgedrückt, dass Toni friert und daher das Fenster geschlossen werden soll. Aussage (b) hingegen drückt in erster Linie aus, dass Toni sich kalt fühlt. Aus dem Kontext heraus und somit als indirekte Aufforderung verstehen wir, dass Toni mit seinem Ausruf beabsichtigt, Mika dazu zu bringen, das Fenster wieder zu schliessen. Somit wird deutlich, dass auch indirekte Sprechakte Handlungen sind und eine damit verbundene Reaktion auslösen können.

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Übung 1

Partnerarbeit

Unten seht Ihr Situationen mit direkten und indirekten Sprechakten.
Arbeitet alleine: Denkt Euch zu jedem Bild den ergänzenden Sprechakt aus. Beachtet, dass mehrere Lösungen richtig sein können. Versucht, an den Kontext zu denken, in dem die Sprechakte ebenfalls vorkommen könnten, und denkt dann an weitere Beispiele für direkte/indirekte Sprechakte und schreibt diese auf.
Arbeitet zu zweit: Vergleicht Eure Antworten mit der Person neben Euch und tauscht Eure Ideen zu möglichen weiteren Situationen aus, in denen die Sprechakte vorkommen könnten. Fragt Euch gegenseitig nach dem direkten oder indirekten Sprechakt Eurer selbst erstellten Beispiele.

Habt ihr die Übung abgeschlossen? Direkter Sprechakt – Indirekter Sprechakt Lass mich in Ruhe und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten! – Hast du nichts Besseres zu tun? Könntest du bitte etwas kaufen? – Opa, es ist keine Milch mehr im Kühlschrank! Rachel, hilf mir, die Wäsche aufzuhängen! – Die Wäsche hängt sich nicht von alleine auf! Die Fenster sind sehr staubig, du musst sie unbedingt putzen! – Die Fenster sind so staubig, ich kann kaum sehen, was draussen ist! Mach das Fenster auf! – Ich kann hier kaum atmen! Leg dein Handy weg, wir sind am Esstisch, wo Handys nicht erlaubt sind! – Wir sind am Esstisch!

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TEIL 2: DIE DREI TEILAKTE

Nun wissen wir, was Sprechakte sind und wie sie im Alltag vorkommen können. Wir haben gelernt, dass Sprechakte selbst Handlungen sind und eine Reaktion nach sich ziehen. In dieser Einheit werden wir das Verhältnis zwischen der sprachlichen Äusserung eines Sprechakts und der Handlung, die er auslöst, untersuchen. Zu diesem Zweck verwenden wir ein Schema, das aus drei untergeordneten Sprechakten besteht und schliesslich einen vollständigen Sprechakt bildet. Am Anfang jedes Sprechakts steht der lokutionäre Akt. Dieser Akt gilt als repräsentativ dafür, dass überhaupt etwas geäußert wird, nämlich die reine sprachliche Äusserung. Wir können dies auf das bereits besprochene Beispiel (b) Brrrr! Es ist so kalt! anwenden. Der lokutionäre Akt wäre, dass Toni diesen Ausruf macht, also die Bildung von Wörtern, die zusammen eine Bedeutung ergeben.

Ein lokutionärer Akt kann nicht allein stehen, sondern wird immer von einem illokutionären Akt begleitet. Dieser zweite Akt wird oft als der wichtigste der drei Teilakte angesehen, nämlich weil der illokutionäre Akt die unausgesprochene Botschaft offenbart, die aus dem Kontext der Situation, der sozialen Umgebung und den sozialen Normen im Zusammenhang mit der sprachlichen ÄuSSerung verstanden wird. Klingt ziemlich kompliziert, ist es aber nicht, das können wir Euch versichern. Wenn wir unser Beispiel heranziehen, um es zu verstehen, können wir die folgenden Aspekte im Hinblick auf den Kontext bestimmen: Das Fenster ist offen, draussen schneit es → es muss also kalt im Klassenzimmer sein. Toni sagt, dass ihm kalt ist, und wir schliessen daraus, dass er ausdrücken möchte, dass das Fenster geschlossen werden soll. Denn wir wissen aus dem situativen Kontext, dass das Fenster von Mika geöffnet wurde. Mit seinem Ausruf beabsichtigt Toni nicht nur zu sagen, dass ihm kalt ist, sondern er bittet Mika auch indirekt, das Fenster zu schließen. Genau diese Indirektheit, die wir bereits in Einheit 1 besprochen haben, findet sich im illokutionären Akt, nämlich dem unausgesprochenen, das innerhalb einer indirekten Aussage mitgeteilt wird.

Der dritte und letzte Teilakt ist der sogenannte perlokutionäre Akt. Dies ist das Ergebnis eines abgeschlossenen illokutionären Akts, also die Reaktion auf oder das Ergebnis eines Sprechakts. Betrachtet man unser Beispiel, steht der perlokutionäre Akt für die Konsequenz, dass Mika das Fenster wahrscheinlich aufgrund von Tonis Ausruf (b) Brrrr! Es ist so kalt! schließen wird. Mit diesem Ergebnis ist der dritte Teil eines Sprechakts erreicht und der gesamte Sprechakt abgeschlossen.

Wenn wir dies zusammenfassen, können die drei Teilakte wie folgt beschrieben werden:

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Auf das besprochene Beispiel angewendet, können wir mit der folgenden Tabelle abschließen:
(b) Brrrr! Es ist so kalt!

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  1. Bildet Gruppen von vier Personen und verteilt die Zahlen 1–4 an die Teilnehmer (jede Person hat eine Nummer). Diskutiert kurz, was Ihr gerade gelesen habt, und helft Euch gegenseitig, falls etwas unklar ist.

  2. Anschließend denkt sich jede Person eine neue Situation oder einen neuen Sprechakt aus und zerlegt die Äusserung schriftlich in die drei Teilakte (lokutionärer, illokutionärer und perlokutionärer Akt).

  3. Wenn alle fertig sind, äussert Person 1 ihren Sprechakt, Person 2 bestimmt den lokutionären Akt, Person 3 den illokutionären Akt und Person 4 den entsprechenden perlokutionären Akt. Diskutiert kurz, ob Ihr übereinstimmt, und stellt gegebenenfalls Unterschiede dar und hört Euch alle Meinungen an. Danach äussert Person 2 ihr Beispiel, und die Teilakte verschieben sich um eins. (Person 3 beschreibt den lokutionären Akt, Person 4 den illokutionären Akt usw.) Macht weiter, bis jede Person ihren Sprechakt präsentiert hat.

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Übung 2

Gruppenarbeit

Abschliessender Gedanke zur Lektion

​Neigt Ihr dazu, in direkten oder indirekten Sprechakten zu kommunizieren? Könnt Ihr erklären, warum das so ist? Versucht, Euch Situationen vorzustellen, in denen sich das ändern könnte.

Quellen

Hoffmann, L., & Searle, J. R. (2019). Was ist ein Sprechakt? In Sprachwissenschaft Ein Reader (pp. 174–193). essay, De Gruyter. 

Hornberger, N. H., & McKay, S. L. (1996). Sociolinguistics and language teaching. Cambridge Univ. Press. 

Levinson, S. C. (2013). Speech acts. In Pragmatics (pp. 226–278). chapter, Cambridge University Press. 

Pfister, J. (2021). Texte zur Sprachphilosophie. Reclam. 

Saeed, J. (2016). Functions of Language: Speech as Action. In Semantics (pp. 229–252). chapter, Wiley Blackwell. 

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