Sprachkontakt
Sprachkontakt wird manchmal fälschlich mit Bilingualismus (Zweisprachigkeit) verknüpft, aber zwei (oder mehr) Sprachen können interagieren, ohne dass ihre Sprecher:innen unbedingt zweisprachig sind. Tatsächlich reicht es aus, wenn eine Sprache in irgendeiner Form in einer Gemeinschaft, in der eine andere Sprache gesprochen wird, präsent ist. Abhängig von vielen Faktoren kann Sprachkontakt horizontal (gleiches Prestige) oder vertikal (Prestigegefälle) stattfinden. Der Kontakt kann stabil sein und einige Jahrhunderte dauern, vorübergehend sein und für eine kurze Zeit auftreten oder sogar nur in bestimmten Momenten und Situationen auftreten. Der Sprachkontakt kann intensiver sein, wenn die Interaktionen zwischen den Menschen vielfältig und kontinuierlich sind, oder schwächer, wenn die Interaktionen gering sind und sich auf einige wesentliche Kommunikationssituationen beschränken.
Schlüssel-konzepte
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Sprachakkommodation
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Verhaltenssynchronisation
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Pidgin-Sprache / Pidgin
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Kreolsprache / Kreol
Sprachakkomodation
Was passiert, wenn wir mit Menschen aus verschiedenen Ländern sprechen? In Gesprächen neigen wir – ob absichtlich oder nicht – dazu, unsere Sprache an diejenige unserer Gesprächspartner:innen anzupassen. Wenn zum Beispiel ein:e Schweizer Tourist:in Deutschland besucht, wird schnell festgestellt, dass Wörter wie „Abwart“ und „Anke“ nicht gebräuchlich sind. So werden die Wörter jeweils mit „Hausmeister“ und „Butter“ getauscht. Ebenso könnte ein:e deutsche:r Tourist:in in der Schweiz feststellen, dass die Verwendung des Wortes „Paprika“ zu Verwirrung führen kann, weil es sich auf das Gewürz und nicht das Gemüse bezieht. So wird das Wort zu „Peperoni“ gewechselt. Sprachliche Anpassung erstreckt sich auch auf andere Sprachen. Wenn beispielsweise ein:e Deutsche:r italienische Freund:innen hat, könnten diese gelegentlich auf Italienisch mit „ciao“ begrüßt werden, um Nähe zu dieser Gruppe auszudrücken. Sprachakkommodation scheint eine nahezu universelle und wahrscheinlich angeborene menschliche Tendenz zur Verhaltenssynchronisation zu sein. Unterbewusst streben wir alle danach, gemocht und verstanden zu werden, was unser Verlangen nach sozialer Anerkennung widerspiegelt.
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Hingegen kommt Divergenz selten vor und hat normalerweise eine eindeutige Erklärung, z.B. geopolitische Spannungen oder nationale Rivalität. Doch welche Aspekte der Kommunikation passen wir an? Fast alles, einschliesslich Körpersprache, Sprechtempo, Rhythmus, Stil, Blickrichtung und mehr. Linguistisch gesehen erfolgt Akkommodation jedoch typischerweise auf der phonetischen, grammatischen und lexikalischen Ebene. Auf der phonetischen Ebene zeigen Menschen beispielsweise bei wichtigen Ereignissen wie Vorstellungsgesprächen oft eine Tendenz, bestimmte stigmatisierte Merkmale zu reduzieren, wie im Englischen z.B. das Weglassen von td (last night --> las night) oder h (house --> ouse) sowie die Reduktion von ing (running --> runnin). Zudem verändern sich auch die Akzente von Menschen, wenn sie über einen langen Zeitraum anderen Akzenten ausgesetzt sind. Beispielsweise ergab eine Studie mit englischsprachigen Personen in Japan, dass amerikanische Teilnehmer:innen mit enger sozialer Beziehung zu Brit:innen und Australier:innen nach einem Jahr leichte Veränderung der Aussprache erleben. Worte wie „better“, ursprünglich als „bedder“ ausgesprochen, verwandelten sich in „betta“. Und Worte wie „bath“, welches als „bæth“ ausgesprochen wurden, verwandelte sich in „baath“.
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Aus grammatikalischer Sicht bezieht sich Akkommodation darauf, neue syntaktische Strukturen zu übernehmen. Eine Studie, die eine Jugendliche aus Texas von ihrem neunten bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr begleitete, ergab, dass sie begann, die Konstruktion „had + past“ anstelle der einfachen Vergangenheit zu verwenden, nachdem sie für ihren Beruf in eine andere Stadt gezogen war. Zum Beispiel sagte sie jetzt: „When I was workin‘ at Billups, me and the manager had became good friends.“
Die sprachliche Übernahme von Elementen aus einem anderen Dialekt oder einer anderen Sprache ist nicht immer fehlerfrei. Es kann sich um einen unvollständig oder gelegentlich ungenau ausgeführten Prozess handeln (z.B. „Ca-peesh“ statt „capisci“ im Italienischen). Mit der Zeit kann sich die sprachliche Adoption bis zu einem gewissen Grad verfestigen und zu
semipermanenten Mustern der Akkommodation führen.
Arbeitet in Gruppen von 2 bis 3 Personen und versucht herauszufinden, was uns dazu bewegt, uns anzupassen. Ist es Standard bei jedem? Oder sind wir eher breit, bestimmten Menschen entgegenzukommen als anderen? Welcher Aspekt dieser Menschen könnte dazu führen, dass wir uns stärker zu ihnen „hingezogen“ fühlen?
Pidgins & Kreols
Eine Pidgin-Sprache ist eine vereinfachte Sprache, die sich als Kommunikationsmittel zwischen zwei oder mehreren Gruppen von Menschen entwickelt, die keine gemeinsame Sprache teilen. Pidgins entstehen in der Regel in den Situationen des Kontakts zwischen verschiedenen Sprachgemeinschaften, z.B. Handel, Kolonisation oder Arbeitsmigration. Pidgins zeichnen sich durch vereinfachte Grammatik, begrenzten Wortschatz und oft eine Mischung von Merkmalen der in Kontakt stehenden Sprachen aus.
Hingegen ist eine Kreolsprache eine stabile natürliche Sprache, die sich aus einer Mischung verschiedener Sprachen entwickelt hat. Kreols bestehen in den Gemeinschaften, in denen ein Pidgin zum primären Kommunikationsmittel geworden ist und von Generation zu Generation weitergegeben wurde, wodurch es sich zu einer komplexeren und stabilen Sprache entwickelt. Kreols haben oft eine einzigartige Grammatik und einen speziellen Wortschatz, welcher sich von den Sprachen, aus welcher das Kreol entstand, unterscheiden.
Schauen wir uns jetzt ein Beispiel aus Papua-Neuguinea an:
Ende des 19. Jahrhunderts sind deutsche Missionarinnen und Missionare nach Papua-Neuguinea, ein Inselstaat in der Nähe von Australien, gereist und haben dort eine katholische Schule gegründet. Die Schulkinder waren sogenannte «mixed-race»-Kinder, deren Eltern also von unterschiedlicher ethnischer Herkunft waren. Diese Kinder wurden an die Schule gebracht und von der Aussenwelt isoliert unterrichtet und erzogen. Obwohl die Kinder die dort gebräuchliche Sprache Tok Pisin sprachen, mussten sie in der Missionarsschule Standarddeutsch lernen. Aus diesen beiden Sprachen erfanden diese Kinder eine eigene Jugendsprache; gewissermassen eine Geheimsprache, die sie nur untereinander sprachen. Dadurch konnten sie sich vor strengen Lehrpersonen oder Erzieherinnen schützen und sich von ihnen abgrenzen. Diese Sprache nannten sie Unserdeutsch. Weil diese Kinder später untereinander zwangsverheiratet wurden, haben sie mit ihren eigenen Kindern weiterhin Unserdeutsch gesprochen. Weil ihr Nachwuchs also das Unserdeutsch als Muttersprache gelernt haben, und es sich dadurch in seiner Form fixiert hat, spricht man von einer Kreolsprache.
Heute leben nur noch ungefähr hundert Sprecherinnen und Sprecher des Unserdeutschen auf Papua-Neuguinea, die etwa um das Jahr 1960 geboren sind und sich dementsprechend bereits in fortgeschrittenem Alter befinden. Die Sprache wird nur an informellen Anlässen wie Familienfesten, Picknicks, Hochzeiten oder Begräbnissen benutzt. Deshalb gibt es auch kaum schriftliche Dokumente, in welchen diese Sprache festgehalten ist. Ein deutsches Forschungsteam hat im Jahr 2015 die Sprache systematisch dokumentiert, bevor die einzige uns bekannte deutsche Kreolsprache, so die Vermutung der Forschenden, ausstirbt.
Dank des Forschungsteams gibt es aber auch einige Aufnahmen, auf denen wir hören können, wie diese Kreolsprache klingt.
Hör dir die Aufnahme an, zu welcher dich der untenstehende Button führt, und versuche, einige grammatische Merkmale von Unserdeutsch zu identifizieren.
Wie unterscheidet es sich vom Standarddeutsch, das du kennst?