Lektion 2: Spracherwerb von 1,5 bis 6 Jahren
In dieser Lektion fahren wir mit dem fort, was du in der vorherigen Lektion gelernt hast, und schauen uns die drei Phasen des Spracherwerbs nach 18 Monaten genauer an.
Schlüsselkonzepte
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Zweiwortphase
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Drei- und Mehrwortphase
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komplexe Strukturen
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Syntax (Satzlehre)
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Morphologie (Struktur der Wörter)
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Übergeneralisiserung
Einheit 1: Zweiwortphase, Drei- und Mehrwortphase
Die Zweiwortphase beginnt in der Regel mit dem Erreichen der 50-Wort-Marke. Dieses Stadium tritt im Allgemeinen zwischen 18 und 24 Monaten ein und bedeutet den Übergang von einzelnen Wörtern zu komplexeren sprachlichen Strukturen. Die Kinder beginnen, zwei Wörter zu "Mini-Sätzen" mit einfachen semantischen (auf die Bedeutung in der Sprache bezogenen) Zusammenhängen zu kombinieren.
Kinder folgen von Anfang an den Regeln der Wortstellung in der Zielsprache. Im Deutschen ist die Wortfolge i.d.R. wie folgt: Subjekt – Verb – Objekt (SVO). Obwohl Kinder in der Zweiwortphase noch nicht in vollständigen Sätzen sprechen, würdest du die folgende Äusserung von einem 20 Monate alten Kind also nicht hören: "essen ich". Da die SVO-Reihenfolge dank des Language Acquisition Device (Spracherwerbsvorrichtung) bereits in seinem sprachlichen Repertoire verankert ist, würde das Kleinkind eher "ich essen" sagen, um seinen Wunsch auszudrücken.
In der Zweiwortphase bestehen die "Mini-Sätze" des Kindes in der Regel aus zwei Inhaltswörtern (wie "Mama Bad"), oder aus einem Inhalts- und einem Funktionswort (da Hund). Morphologische und syntaktische Merkmale fehlen jedoch noch oft. Aus diesem Grund sind kontextuelle Hinweise wie nonverbale Kommunikation (Blicke, Zeigen, Mimik) und Vertrautheit mit dem Kind wichtig, um die genaue Bedeutung der Äusserung zu verstehen. Das ist auch der Grund, warum Fremde normalerweise Schwierigkeiten haben, kleine Kinder zu verstehen.
Drei- und Mehrwortäusserungen können mehr oder weniger rasch nach Beginn der Zweiwortphase auftreten. In dieser Phase beginnen die Kinder, grammatisch vollständigere Sätze zu bilden. Jedoch werden viele morphologische Merkmale noch ausgelassen, weshalb die Äusserungen der Kinder oft der Sprache von Telegrammen ähneln. Deshalb heisst diese Phase im Englischen auch "Telegraphic Stage".
Kinder können in diesem Stadium erste Hauptsätze bilden (“Ich baue ein Turm.”) und Fragen produzieren (“Wo ist Papa?”). Das konjugierte Verb steht dabei schon korrekterweise an der zweiten Satzposition.
Auch der Pluralerwerb beginnt in dieser Phase. Wie du bestimmt weisst, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, die Mehrzahl zu bilden. Deshalb sind Fehler auch in späteren Stadien nicht selten.
Neben dem Erwerb grundlegender funktioneller Strukturen haben Kinder in diesem Stadium auch einen schnell wachsenden Wortschatz und können zwischen 50 und 1.000 Wörter bilden.
Übung 1: Diskussion
Zweiwortphase
Was könnten diese verschiedenen "Zwei-Wort-Ausdrücke" bedeuten? Wie können wir wissen, was das Kind sagt?
Äusserungen:
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"Katze spielen"
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"Kein Gemüse"
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"Mama Auto"​
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​Drei- und Mehrwortphase
Im Jahr 1958 entwickelte Jean Berko Gleason den Wug-Test, den du links im Bild siehst. Dieser zeigt, ob Kinder die englische Sprachregel, dass die meisten Pluralformen durch Hinzufügen eines -s gebildet werden, schon erlernt haben. Der Wug ist ein imaginäres Tier, welches nicht existiert, und dessen Pluralfrom den Kindern deshalb nicht bekannt sein kann. Antworten die Kinder mit "wugs", sieht man, dass sie die Pluralregel beherrschen.
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Diskutiere nun mit deinem:deiner Partner:in. Könnte man diesen Test auch auf Deutsch durchführen? Was macht es problematisch? Kannst du einen ähnlichen Test auf Deutsch kreieren?
Habt Ihr die Übung abgeschlossen? Zweiwortphase: Um die wörtliche Bedeutung der Äusserungen zu verstehen, sind kontextuelle Hinweise wichtig. Wir müssten vielleicht auf das Zeigen oder den Blick des Kindes achten oder beobachten, was das Kind tut, um die genaue Bedeutung zu verstehen. Mögliche Bedeutungen der Äusserungen: 1. Die Katze spielt. 2. Ich will kein Gemüse haben. 3. Meine Mutter sitzt im Auto. Drei- und Mehrwortphase: Es ist schwierig diesen Test auf Deutsch durchzuführen, da so viele verschiedene Arten existieren, einen Plural zu bilden. Eine Idee wäre, den Test für die Perfekt-Vergangenheitsform zu kreieren, wie zum Beispiel: "Später wollen wir hoxen. Das haben wir gestern auch getan. Gestern haben wir ..." Die Antwort wäre dann "gehoxt".
Einheit 2: Komplexe Strukturen
Neben einem immer grösser werdenden Wortschatz entwickeln sich ab einem Alter von drei Jahren auch grammatische Strukturen und ganze Sätze. Mit dem Eintritt in die Phase der komplexen Strukturen beginnt sich die grundlegende Syntax mehr und mehr herauszubilden und entwickelt sich im Alter von fünf bis sechs Jahren zur vollen Sprachkenntnis.
Im Alter von drei Jahren sind etwa 80 % der Äusserungen des Kindes für Fremde verständlich. Dies zeigt, dass kontextuelle Hinweise nicht mehr notwendig sind, um die Bedeutung der Sätze zu verstehen. Das Passiv ("Der Apfel wird gegessen") ist im Verlauf des dritten Lebensjahres vollständig erworben. Auch Satzreihen mit "und" und "aber" oder Nebensätze wie zum Beispiel Relativsätze ("Das ist Nick, welcher mein Freund ist.") werden in diesem Alter erworben.
Im Verlaufe des Stadiums der komplexen Strukturen erlernen die Kinder die korrekte Verwendung der Flexion (Beugung). In dieser Phase des Spracherwerbs können die Kinder jedoch auch "rückwärts fortschreiten". Betrachten wir dies am Beispiel der Bildung der Vergangenheitsform. Es ist oft zu hören, dass Kinder die schwachen (regelmässigen) mit den starken (unregelmässigen) Verben verwechseln. So verwenden sie zum Beispiel Formen wie "fliegte" statt "flog" oder "hat gelest" statt "hat gelesen". Diese Übergeneralisierung ist ein häufiges linguistisches Phänomen in der Sprachentwicklung von Kindern.
Im Alter von sechs Jahren haben Kinder die meisten sprachlichen Fähigkeiten ihrer Erstsprache entwickelt und können um die 14.000 Wörter mit Bedeutung kennen.
Am Ende der beiden Lektionen über den Spracherwerb von der Geburt bis zum sechsten Lebensjahr ist es wichtig zu erwähnen, dass die Entwicklung des Spracherwerbs natürlich von Kind zu Kind unterschiedlich ist. Was du in den Lektionen 1 und 2 gelernt hast, sind die generellen Vorgänge.
Höre dir die folgenden drei Audios an:
Versuche, die verschiedenen Phasen (orange) den drei Audios (blau) zuzuordnen, indem du das orangefarbene Rechteck in das blaue ziehst. Überprüfe anschliessend die Antwort.
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Warum hast du die Audios einer bestimmten Phase zugeordnet?
Was waren die Merkmale?
Was ist dir aufgefallen?
Aktivität 2: Audios zuordnen
Abschliessende Gedanken für diese Lektion
Etwa im Alter von sechs Jahren hat ein Kind die Sprache erworben und kann sprechen. Jedoch lernen auch Erwachsene ständig neue Wörter hinzu und erweitern ihren Wortschatz. Was denkst du also? Hört der Spracherwerb jemals auf? Gibt es ein Ende des Erwerbsprozesses?
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Quellen
Text
Herschensoh, J. (2007). Language Development and Age. Cambridge University Press.
Lust, B. (2006). Child Language: Acquisition and Growth. Cambridge University Press.
The Stages of First Language Acquisition. Language acquisition part 4. (2010, August 24). mnstate. Retrieved September 28, 2023, from https://web.mnstate.edu/houtsli/tesl551/LangAcq/page4.htm.
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The Stages of First Language Acquisition. Language acquisition parts 5 and 6. (2010, August 24). mnstate. Retrieved September 28, 2023, from https://web.mnstate.edu/houtsli/tesl551/LangAcq/page5.htm.
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Bild
Berko, J. (1958). The Child's Learning of English Morphology. Word. doi:10.1080/00437956.1958.11659661.